Viel mehr als „nur“ Kinder – warum der „KiTa-Streik“ eigentlich keiner ist

Was haben wir uns in den letzten Wochen aufgeregt und geschimpft! Über die GDL und den „Lokführer-Streik“, der knapp eine Woche lang den Bahnverkehr Deutschlands so lahm legte, dass wütende Pendler am liebsten Herrn Weselskys Kopf auf einem Spieß gesehen hätten. Kurz darauf folgte dann eine neue Meldung in den Medien: „Ab dem 11.05. bleiben die kommunalen KiTas geschlossen.“
„Schon wieder ein Streik?! Was soll das denn? Erst die Bahn und nun die KiTas? Was erlauben die sich eigentlich alle?“ stöhnte es aus deutschen Wohnzimmern den TV-Geräten entgegen. Also erneutes Schimpfen und Empören. Das fiel durchaus leichter, schließlich war man nach dem Streik der Lokführer noch im Fluss, im Flow, so richtig schön warm-echauffiert.
Auch für die Presse war dies ein gefundener Aufmacher. Überall liest oder hört man vom „KiTa“-Streik und dass besorgte Eltern nun ins Trudeln kommen, weil sie nicht wissen wohin mit ihren Kindern.
Dass der „KiTa“-Streik, eigentlich viel größer ist und weit mehr in die Gesellschaft greift wird bei den Schlagzeilen nicht erwähnt. Wie auch, ist es doch der Wunsch der Journalisten möglichst knackig den Nerv derer zu treffen, die davon am meisten betroffen sind: Eltern.
Es stimmt, zum Teil werden die kommunalen Kindertagesstätten bestreikt, ja. Jedoch ist das bei weitem nicht alles. Da auch ich zu den Streikenden gehöre, möchte ich kurz aufklären, wieso das Ganze eigentlich größer ist als „nur“ der Streik, der in Kindertagesstätten beschäftigten Frauen und Männern.

Wer streikt denn nun?
Es streiken all die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die nach der Tarifgruppe „Sozial-und Erziehungsdienst“ bezahlt werden. Darunter fallen neben den genannten Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen auch alle anderen Sozialarbeiter/innen, Pädagogen/Pädagoginnen, Sozialpädagogen/Sozialpädagoginnen, Heilerziehungspfleger/innen, Heilpädagogen/Heilpädagoginnen und alle weiteren Berufe, die in diesen sozialen und/oder erzieherischen Berufen tätig sind und aufgrund dessen in die oben genannte Tarifgruppe (kurz: SuE) fallen.

Also doch KiTa!
Genau das ist die falsche Annahme, die leider durch die Medien getragen und weitertransportiert wird. Natürlich gehören die Kolleginnen und Kollegen aus den Kindertagesstätten AUCH dazu und ich möchte ihre wertvolle, engagierte und anstrengende Arbeit nicht schmälern. Jedoch ist es falsch sich eben nur auf diese Gruppe zu konzentrieren und sie als Aufhänger für den medialen Spiegel dieses Streiks zu benutzen.
Deswegen möchte ich einen kleinen Einblick geben, wer genau in den Arbeitskampf getreten ist, wobei zu beachten ist, dass es dabei um Mitarbeiter in Institutionen geht, die unter kommunaler Führung stehen:

– Allgemeine Soziale Dienste (ASD) / Jugendämter
– Adoptionsvermittlung
– Pflegekinderdienst
– Schulsozialarbeiter
– Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen
– Beratungsstellen für Suchtkranke Menschen (Sozialpsychiatrischer Dienst)
– Beratungsstellen für Selbsthilfe(-gruppen)
– Beratungsstellen für Menschen mit psychischer Erkrankung (Sozialpsychiatrischer Dienst)
– Jugendzentren/ Offene Angebote für Jugendliche
– Werkstätten für Behinderte
– Schwangerschaft/Schwangerschaftskonfliktberatung
..und noch vieles mehr!

Wie man sieht, geht es um weit mehr als um Kindertagesstätten. Es geht eben auch im die Bereiche, die keinen großen Nerv in der Gesellschaft treffen. Wen kümmert es schon, ob ein Alkoholiker nun heute beraten werden kann oder nicht oder ob ein Mensch mit Depressionen heute einen Ansprechpartner hat oder nicht? Genau: außer den eigentlich Erkrankten selbst, kümmert es niemanden. Und genau da setzt auch ein Teil der Streikforderung an. Wir möchten erreichen, dass diese Bereiche auch gesellschaftlich eine Aufwertung erhalten.

Die Belastungen der Kolleginnen und Kollegen in den oben genannten Berufsgruppen und Institutionen sind in den letzten Jahren rapide gestiegen. In den Einrichtungen des Erziehungswesens ist schulvorbereitende Frühförderung zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Immer jüngere Kinder zeigen zum Teil schwerwiegende Verhaltensauffälligkeiten, die möglichst aufgefangen werden sollen. Im Erwachsenenbereich ist es nicht anders. Die Krankheitsbilder und Problemstellungen wurden in den letzten Jahren zunehmenden komplexer. Die Fallzahlen stiegen stetig an, obwohl gleichzeitig Personaleinsparungen vorgenommen wurden. Nicht wenige Kolleginnen oder Kollegen sind nah an einem Burn-Out vorbeigeschrappt. Einige haben durch ihre Überlastung einen erlitten oder wurden auf andere Weise krank.

Wer glaubt, Soziale Arbeit sei Kaffeetrinken und gutes Zureden, der irrt gewaltig. Die Verarmung der Gesellschaft hat sich an unserem Klientel vollzogen. Die Armen wurden Ärmer. Und die Kranken noch kränker. Unsere Aufgabe blieb es den Hilfebedürftigen qualitativ hochwertige Hilfe anzubieten. In kürzerer Zeit, mit weniger Personal und natürlich ohne dabei das Gesehene und Erlebte mit nach Hause zu nehmen. Leichter gesagt als getan. Insbesondere dann, wenn alle Hilfen nicht ausgereicht haben und man sich plötzlich auf der Beerdigung eines seiner Klienten wiederfindet (wie es bei mir im letzten Jahr der Fall war).
Die Belastungen nehmen zu. Und die Anforderungen an Weiterbildung und Qualifikation ebenso. Umfassende qualitativ hochwertige Weiterbildungen müssen von den Bediensteten privat bezahlt werden, da die kommunalen Töpfe leer sind.

Alles steigt. Nur der Lohn nicht. Die Fragen, die die Forderungen der Streikenden zu einer generellen besseren Eingruppierung der Sozial-und Erziehungsberufe untermauern lauten: wieso eigentlich? Wieso ist die Arbeit für und mit Menschen in Deutschland so schlecht bewertet? Wieso verdient ein Wirtschaftsingenieur bei Berufsstart bereits mehr als eine Erzieherin mit über 15 Jahren Berufserfahrung? Warum sind Berufe, die Gewinne erzielen so viel mehr wert, als Berufe die an dem wichtigsten Gut arbeiten, was wir haben: uns selbst, den Menschen?

Und nun…?
Der Verband kommunaler Arbeitgeber (VKA), der auch nach der fünften Verhandlungsrunde den Gewerkschaften kein zufriedenstellendes Angebot entgegenbringen wollte, lobt die Arbeit in den Sozial-und Erziehungsberufen als wichtige Tätigkeit für die Gesellschaft und die Zukunft ebendieser. An den Verhandlungstischen prasselt es nur so an Lob für sie Arbeit im Sozial-und Erziehungsdienst. Mehr Geld für die Menschen, die diese Arbeit jeden Tag verrichten, wollen sie allerdings nicht zahlen.

Aber, man ahnt es: von Lob kann niemand seine Miete bezahlen. Deswegen sind die Mitarbeiter aufgerufen worden in einen unbefristeten Erzwingungsstreik zu treten.

Denn:

Wir sind es, die die Zukunft gestalten, wenn wir Kinder und Jugendliche fördern.
Wir sind es, die jene auffangen, die wieder zurück in die Gesellschaft wollen um ihren Beitrag zu leisten.
Wir sind es, die möglich machen, dass Menschen (wieder) ihren Beruf ausüben können.

WIR SIND ES WERT! SOZIAL- UND ERZIEHUNGSBERUFE AUFWERTEN! JETZT!

Wir sind soviel mehr als „nur“ KiTa – es wäre schön, wenn sich dies auch in der medialen Berichterstattung wiederspiegeln könnte. Zudem wäre es wünschenswert wenn begriffen wird, dass all diese Berufe wichtig und notwendig sind, und von einem solchen Streik nicht nur Eltern betroffen sind, sondern wir alle als Gesellschaft.

2 Gedanken zu “Viel mehr als „nur“ Kinder – warum der „KiTa-Streik“ eigentlich keiner ist

Hinterlasse einen Kommentar